Guten Morgen, ferne Freundin!
Einen schönen Start in die letzte Woche! Das ist so dahingesagt, ich weiss. Vielleicht geht Deine Arbeit nächste Woche dann einfach weiter, ungeachtet der Feiertage. Und vielleicht ist das ja auch nicht das Schlimmste.
Ich stehe seit jeher auf Kriegsfuss mit Weihnachten und bin heilfroh, wenn dieses ganze Weichspülprogramm durch ist und man sich wieder unter normalen Umständen begegnen kann. Tortur ist mir nicht nur die ganze christliche Dichtung im Hintergrund, das könnte man auch als Atheist noch als Tradition oder Erinnerungen rückwärtsgewandter Heilsgläubiger durchgehen lassen. Vielleicht geht es Dir ähnlich: Die wirkliche Katastrophe ist der Kommerz, das Falsche, das Zuckergesäusel, das da drapiert ist um die kollektive psychotische Störung, die jungfräuliche Geburten, allerlei Ausnahmen von Naturgesetzen und schliesslich und endlich Erlösung durch Menschenopfer behauptet. Es wird noch darüber zu schreiben und zu sprechen sein – einen Anfang haben wir in unserem englischen Newsletter Change My Mind1 gemacht: Crucified Santa.
Danke, dass Du dabei bist! Dieser Newsletter, den wir, so fühlt sich das noch an, wie einen Drachen in Windstille in die Lüfte zu bekommen versuchen, benötigt vor allem jetzt am Anfang viel Arbeit, Ausdauer und: Dich. Ich freue mich über jede Rückmeldung, ob als Kommentar zu den Texten, im Chat oder als Mail. Vielleicht bist Du so etwas wie der Wind, der dem Drachen den Auftrieb gibt. Auf jeden Fall würde er ohne Dich nicht abheben.
Am Donnerstag kommt wieder der Hauptbrief. Ich schreibe weiter zu Gestalten in Käfigen, einem Thema, das mit jedem Wort, mit jedem Satz weiter anwächst. Es gibt ja unendlich viele dieser inneren Käfige. Die Verführung, sich da in Allgemeinplätzen zu verlieren, lauert an jeder Ecke. Sollte es mir passieren: ermahne mich!
Neben diesem und, zusammen mit meiner Truppe, dem englischen Newsletter, bin ich an den Vorbereitungen für eine neue Theaterproduktion. Die ersten Proben beginnen Mitte Januar, die Uraufführung ist am 13. März in Lugano. Arbeitstitel: Collisions. In den kommenden Ausgaben mehr dazu.
Gestern Abend: Theaterbesuch, das kommt hier in der Gegend aus gegebenem Grund eher selten vor. Theater ist auch das falsche Wort: Weder ist oder hat das sogenannte LAC ein Theater, das ist eher ein missglückter Konzertsaal in hellem Holz, der, wie so viele vor der Pubertät, auch gerne Theaterspielen würde. Noch war es eine Theatervorstellung, es war Tanz.
Die Eintrittskarten waren geschenkt, deshalb kein Wort zur Vorstellung, nur soviel: Tanz hängt an Ton. Und die Tonqualität war in diesem vor neun Jahren eröffneten 210-Millionen-Bau dermassen mies, dass ich mich eineinhalb Stunden unter dem Geheule der übersteuerten Flamencosängerin und dem Gejaule vom Ravels Bolero in meinem Mitte-Platz in der dritten Reihe gekrümmt habe.
Sass da am Mischpult ein hoffnungslos überbezahlter Tonfuzzi, der gelangweilt hie und da auf den Play-Knopf eines alten Kassettenrecorders drückt? Waren die Lautsprecher lieblos angeordnet, gar die Anlage im Eimer?
Ich bin also nach der Vorstellung kopfschüttelnd hochgeklettert zu den Technikern.
Was ist das für Schrott, den ihr uns da um die Ohren pustet?
Klar, Flamenco gefällt nicht jedem.
Hmmm. Und der Bolero, was war das?
Oh ja, die Stücke vom Band sind Mp3-Dateien2!
Bist du bei Sinnen? Da lockst du am Abend tausend Leute in deinen 210-Millionen-Bau. Nimmst 70’000 Franken ein, und jagst von YouTube runtergeladenen komprimierten Datenschredder, den ich nicht mal meinem Autoradio3 zumuten würde, durch eine Konzertanlage, die weit über hunderttausend Franken kostet?
Das ist in etwa der Stand der Kultur hier in Lugano: Die Bauten riesig, der Marmor grün, die Technik glitzernd, Politiker unwissend wie fast überall, das Publikum leicht zu unterhalten. Jeder hat ordentlich verdient – da ist es unwesentlich, ob am anderen Ende der Leitung Schrott rauskommt und die Leute belämmert nach Hause torkeln.
Ganz herzlich, bis am Donnerstag! Gemeinsam stehen wir das schon durch.
Gestern Abend ist eine Empfehlungsmail für Change My Mind! an Dich rausgegangen. Entschuldigung. Dieses System hat so viele Werbefunktionen, wir müssen das erst noch lernen, zu kontrollieren. Wir tun alles, um Spam zu vermeiden.
MP3 ist ein komprimiertes (digitales) Tondatenformat, das vor allem im sogenannten Consumer – Bereich verwendet wird. Der Vorteil von komprimierten Tondateien wie MP3 gegenüber unkomprimierten wie WAV, AIFF oder auch hochauflösenden wie FLAC ist ihr geringer Datenverbrauch, was sie prädestiniert macht für Online-Anwendungen und mobile Nutzung. Je stärker die Komprimierung, desto grösser ist der Qualitätsverlust. In professionellen Umgebungen wie im Theater werden grundsätzlich unkomprimierte Dateien verwendet, um bestmögliche Tonqualität zu garantieren.
MP3 wurde in den frühen 1980er Jahren am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen, Deutschland entwickelt, damals mit dem Ziel, Musik für die Übertragung über digitale Telefonleitungen (ISDN) zu komprimieren.
Wenn ich denn ein Auto hätte